Untersuchungen zu altersabhängigen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf der Basis relevanter biophysikalischer und biologischer Parameter

Thema

Untersuchungen zu altersabhängigen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf der Basis relevanter biophysikalischer und biologischer Parameter

Beginn

01.10.2005

Ende

31.01.2008

Projektleitung

IT´IS Forschungsstiftung für Informationstechnologie, Zürich

Zielsetzung

Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens wird durch möglichst realitätsnahe Modellierung sowohl des kindlichen Kopfes als auch der Strahlungsquelle die Frage nach Ausmaß und Verteilung von HF-Absorption und Temperaturveränderungen im kindlichen Kopf im Verhältnis zum Erwachsenen untersucht. Dabei wird die altersabhängige Variabilität physiologischer, biophysikalischer oder anatomischer Parameter so weit wie möglich berücksichtigt. Die numerischen Modelle der Kinder- und Erwachsenenköpfe beinhalten Zielstrukturen wie Pinealorgan, Hippokampus, Hypothalamus und Schädelknochen mit Knochenmark und erlauben Simulationen mit einer numerischen Auflösung im Submillimeterbereich. Die Simulationen der elektromagnetischen Felder und der Temperaturverteilung auf der Hautoberfläche werden durch Messungen validiert. Das Projekt dient zum einen der Überprüfung von existierenden Grenzwerten, zum anderen der realitätsnahen Ermittlung der Expositionssituation in relevanten Zielstrukturen.

Durchführung

Zunächst wurden die für die Bearbeitung der Aufgabenstellung geeigneten Mess- und Berechnungsverfahren ermittelt bzw. entwickelt. Auf dieser Basis wurden MRI-basierte, hoch aufgelöste numerische Kopfmodelle dreier Kinder im Alter von drei bis elf Jahren sowie ein auf Kryosektionsfotografien basierendes Modell eines Erwachsenen (visible Human) den Anforderungen dieser Studie angepasst. Die anatomischen Modelle unterscheiden bis zu 31 verschiedene Gewebetypen. Hippokampus, Hypothalamus, Pinealdrüse, Auge und Knochenmark im seitlichen Schädelknochen sind in sämtlichen Modellen als separate Gewebe bzw. Organe identifiziert. Diese Strukturen wurden ausgewählt, weil sich ihre Funktion sowie ihre dielektrischen Gewebeeigenschaften altersabhängig ändern(Knochenmark) bzw. weil es sich um relevante Hirnstrukturen handelt, deren Entwicklung sich postnatal fortsetzt.

Die anatomischen Modelle können mit beliebiger geometrischer Auflösung für elektromagnetische und thermische Simulationen in der Simulationsplattform SEMCAD eingesetzt werden.

Die Bestimmung der Peak Spatial Average SAR (maximal auftretende, über ein Volumen mit einer Masse von 10 g gemittelte spezifische Absorptionsrate) sowie der organspezifischen Belastung der oben erwähnten Zielstrukturen erfolgte unter Berücksichtigung der Anatomie der Kopfmodelle und der altersbedingten Änderungen der dielektrischen Gewebeeigenschaften. Hierbei wurden Telefonmodelle mit verschiedenen Antennentypen für die Frequenzbänder GSM 900 und GSM 1800 verwendet. Die durch die Belastung durch die Mobiltelefone bedingte Temperaturverteilung wurde an Hand der in der Literatur zur Verfügung stehenden Daten bezüglich der thermischen Gewebeeigenschaften sowie der in diesem Projekt ermittelten Werte im Sinne einer Grenzfallbetrachtung (worst case conditions) einbezogen, um die Erwärmung zu bestimmen und entsprechende Unsicherheiten zu beurteilen.

Zur Bestimmung der SAR- und der Temperaturverteilung wurde die Methode der finiten Differenzen im Zeitbereich eingesetzt (FDTD). Diese Methode erlaubt es, komplexe Gewebeverteilungen mit geringem Aufwand im Rechengitter abzubilden, so dass sich die anatomischen Kopfmodelle zusammen mit realitätsnahen Modellen von Mobiltelefonen in normalen Benutzungsgewohnheiten entsprechenden Positionen simulieren lassen. Zur Bestimmung der Temperaturverteilung wurde das Pennes-Modell verwendet. Unsicherheiten, die sich durch die Streuungen der thermischen Gewebeparameter in der einschlägigen Literatur ergeben, wurden berücksichtigt.

Weiterhin wurde ein nicht invasives Messverfahren (miniaturisierte Temperatursonden) zur Erfassung der Temperaturverteilung und der Thermoregulationsprozesse im Gehörgang und auf der Haut (Wange) entwickelt, das im zweiten Arbeitspaket bei Kindern und erwachsenen Probanden eingesetzt wurde. Das Verfahren wurde an den rekrutierten Probanden zur Bestimmung des Temperaturanstiegs auf der Haut und im Gehörgang während der Benutzung eines Mobiltelefons eingesetzt. Die Ergebnisse wurden zur Validierung der thermischen Simulationen herangezogen. Da sich die Rekrutierung von Kindern als außerordentlich schwierig erwies, wurden diese Untersuchungen an 8 Kindern im Alter von 6-8 Jahren und 16 Erwachsenen durchgeführt.

Es wurde ein geeignetes Messverfahren für die Bestimmung von Dicke und Elastizität des Ohres bei Minderjährigen bei typischer Benutzung eines Mobiltelefons entwickelt. An 28 Erwachsenen und 40 Kindern im Alter von 6-8 Jahren wurden Dicke und Elastizität des Ohres mit und ohne an den Kopf gepresstes Telefon gemessen. Dies dient der genaueren Bestimmung des Abstandes zwischen Kopf und Telefon bei typischer Benutzung eines Mobiltelefons, z. B. auch bei stärkerem „Anpressen“. Die numerischen Modelle wurden entsprechend angepasst, so dass die tatsächliche Dicke der Ohrmuschel bei den Simulationen berücksichtigt werden konnte.

Es wurden zwei homogene experimentelle Kinderkopfmodelle entwickelt, die auf MRI-Daten eines drei- und eines achtjährigen Kindes basieren. Diese Modelle ermöglichen die messtechnische Überprüfung möglicher durch die Größe und Form des Kopfes bedingter Unterschiede im Hinblick auf die gesamte absorbierte Leistung, die SAR und Temperaturverteilung und die Belastung der Antenne durch den Kopf des Benutzers. Die Peak Spatial Average SAR wurde für ein generisches und ein handelsübliches Mobiltelefon in den Bändern GSM 900 und GSM 1800 bestimmt und mit Simulationsergebnissen verglichen.

Zu Beginn der Studie hat der Forschungsnehmer einen überblick über den Forschungsstand auf dem Gebiet der Absorptionsbestimmung hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung in den Köpfen von Kindern vorgelegt. Eingegangen wird auf numerische und messtechnische Verfahren, existierende anatomische Modelle und relevante Studien.

Die Bestandsaufnahme liegt zum Download als PDF-Datei (2191 KB) vor.

Ergebnisse

Die Altersabhängigkeiten der dielektrischen Gewebeeigenschaften führen nicht zu einer charakteristischen Veränderung der Peak Spatial Average SAR, d. h. der maximal auftretenden, über ein Volumen mit der Masse von 10 g gemittelten spezifischen Absorptionsrate. Dies gilt für alle untersuchten Szenarien (verschiedene Telefontypen, Positionen, usw.).

Die geometrischen Eigenschaften des Kopfes beeinflussen die Peak Spatial Average SAR nicht in systematischer Weise, d. h., ein Zusammenhang zwischen Kopfgröße und der Peak Spatial Average SAR konnte weder numerisch noch experimentell belegt werden. Unterschiede ergeben sich lediglich auf Grund individueller anatomischer Eigenschaften. Dies gilt für alle untersuchten Szenarien (Telefontypen, Positionen, usw.).

Die Ohrdicke hat großen Einfluss auf die Peak Spatial Average SAR (bis zu 2 dB), falls die Antenne bzw. das Maximum der Stromverteilung auf oder über dem Ohr des Benutzers liegt. Charakteristische Unterschiede der Verteilung der den Abstand zwischen Telefon und Kopf bestimmenden Dicke der Ohrmuschel zwischen Kindern und Erwachsenen konnten jedoch nicht festgestellt werden.

Die aktuellen Verfahren zur Typenprüfung erweisen sich in allen bisher untersuchten Fällen als konservativ, was die Aussagen früherer Studien bestätigt.

Allerdings wurden altersbedingte Veränderungen bei der Belastung einzelner Gewebe und Hirnregionen festgestellt. Diese können sowohl tiefer im Gehirn liegende Gebiete als auch seine Oberfläche und das Knochenmark betreffen. Im einzelnen sind folgende Aussagen möglich:

  • Die Belastung tief im Gehirn liegender Regionen (z. B. Hippocampus und Hypothalamus) kann bei kleinen Kindern um mehr als einen Faktor zwei höher liegen als bei Erwachsenen.
  • Liegt das Maximum der Peak Spatial Average SAR des Gehirngewebes in der Nähe des Maximums der über alle Gewebe gemittelten SAR, kann dieses in der Größenordnung der für das Telefon bestimmten SAR liegen. Ein Überschreiten des Grenzwertes ist aber sehr unwahrscheinlich.

  • Auf Grund der mit dem Alter starken Abnahme der elektrischen Leitfähigkeit des Knochenmarks kann die Belastung dieses Gewebes bei Kindern um einen Faktor zehn höher liegen als bei Erwachsenen. Ein direkter Vergleich mit der Peak Spatial Average SAR erscheint auf Grund des würfelförmigen Mittelungsvolumens schwierig, wenn nur Knochenmarksgewebe berücksichtigt werden soll.
  • Die Belastung des Auges ist bei Kindern ebenfalls deutlich höher als bei Erwachsenen. Da die Belastung des Auges durch Mobiltelefone allgemein sehr niedrig ist, stellt dies im Hinblick auf thermische Effekte jedoch kein Problem dar.
  • Oberflächennahe Regionen des Gehirns können auf Grund ihrer unterschiedlichen relativen Lage im Verhältnis zum Ohr bei Erwachsenen und Kindern verschieden stark belastet werden. Für die Peak Spatial Average SAR im Kleinhirn wurden bei Kinderkopfmodellen mehr als doppelt so hohe Werte wie bei Erwachsenen ermittelt. Diese Unterschiede hängen jedoch stark von der Stromverteilung auf dem Telefon ab.

Mit Ausnahme von Knochenmark, das seine Leitfähigkeit mit fortschreitendem Alter stark ändert, ist die höhere Belastung auf unterschiedliche Proportionen der Anatomie von Kindern im Vergleich zu Erwachsenen zurückzuführen.

Die Untersuchungen der thermischen Belastung ergaben folgende Beobachtungen:

  • Auf Grund der numerischen Auswertung des durch die absorbierte Strahlungsleistung herbeigeführten Temperaturanstiegs kann nicht auf einen systematischen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen geschlossen werden.
  • Messungen des Temperaturanstiegs ergeben bei den erwachsenen Probanden nach 7,5 Minuten einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von etwa 0,05 °C im Gehörgang oder auf der Wange, der durch die absorbierte Hochfrequenzleistung verursacht wurde. Die Erwärmung des Gewebes durch in Wärme umgewandelte elektrische Verluste im Mobiltelefon überwiegt jedoch.
  • Die Ergebnisse der Temperaturmessungen deuten nicht darauf hin, dass bei Kindern eine höhere Gewebeerwärmung bei der Benutzung von Mobiltelefonen auftritt.

Der vollständige Abschlussbericht steht zum Download als PDF-Datei (2.667 KB) zur Verfügung.

Publikationen

  • Andreas Christ, Marie-Christine Gosselin, Maria Christopoulou, Sven Kühn and Niels Kuster (2010) Age dependent tissue-specific exposure of cell phone users, Physics in Medicine and Biology 55, 1767-1783
  • Andreas Christ, Marie-Christine Gosselin, Sven Kühn and Niels Kuster(2010) Impact of pinna compression on the RF Absorption in the heads of adult and juvenile cell phone users, Bioelectromagnetis 31: 406-412

Fazit

Die Untersuchung bestätigt einerseits die heutigen Typenprüfungsverfahren für Mobiltelefone (am Kopf) als konservativ, so dass aus den Resultaten in dieser Hinsicht keine Notwendigkeit der Änderungen bestehender Verfahren abzuleiten ist.

Andererseits zeigen die Ergebnisse aber auch, dass v. a. bei jüngeren Kindern im Vergleich zum Erwachsenen in bestimmten Regionen des Gehirns höhere Energieabsorptionen auftreten können. Diese vergleichsweise höheren Belastungen gehen auf die unterschiedlichen anatomischen Gegebenheiten und die geringeren Abstände zwischen Strahlenquelle und Zielstruktur zurück und – mit Ausnahme des Knochenmarks – nicht auf altersabhängige Gewebeeigenschaften. Die Frage, ob diese Unterschiede gesundheitsrelevante Auswirkungen haben, kann diese rein dosimetrische Studie nicht beantworten. Bisherige Ergebnisse aus experimentellen und epidemiologischen Studien weisen nicht auf negative Effekte hin, allerdings wird in diesem Bereich noch Forschungsbedarf gesehen, v. a. was Langzeitwirkungen auf das bei Kindern noch in der Entwicklung befindliche Nervensystem betrifft.

Aus den Ergebnissen ergibt sich kein Handlungsbedarf im Sinne einer Absenkung der Grenzwerte oder einer Änderung der Typenprüfungsverfahrens, da diese als konservativ bestätigt werden. Allerdings unterstreichen die Ergebnisse die vom BfS gegebenen Empfehlungen zur Expositionsminimierung insbesondere für Kinder. Weitere experimentelle Untersuchungen werden als notwendig erachtet.