Kurzprotokoll des internationalen Fachgesprächs zu Forschungsprojekten des DMF im Bereich Risikokommunikation

Am 18. und 19. Oktober 2006 fand im Rahmen des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms (DMF) das internationale Fachgespräch zu Projekten der Risikokommunikation und Risikowahrnehmung im BfS Neuherberg statt. Es war damit das zweite in einer Reihe von insgesamt fünf internationalen Fachgesprächen zu den verschiedenen Forschungsschwerpunkten des DMF. Schwerpunkt des Fachgespräches waren die Forschungsprojekte, die sich mit der Wahrnehmung des Mobilfunks in der Gesellschaft, der Risikowahrnehmung und Möglichkeiten einer verbesserten Risikokommunikation befassten.

Im Rahmen der Vorträge und Diskussionen wurde die Wahrnehmung des Themas Mobilfunk und die in Teilen der Bevölkerung damit verbundenen Sorgen aus unterschiedlichem Blickwinkel beleuchtet. Möglichkeiten, mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen durch Informations- und Kommunikationsmaßnahmen in Kontakt zu treten, wurden vorgestellt und deren Eignung diskutiert. Einen eigenen Schwerpunkt bildete die Frage, wie im Rahmen des Standortwahlverfahrens von Mobilfunksendeanlagen die Kommunikation auf der kommunalen Ebene zwischen den Mobilfunknetzbetreibern, den zuständigen kommunalen Ansprechparten und den Bürgern verbessert werden kann. Zur Ergänzung dieses Themenschwerpunktes wurden zwei außerhalb des DMF durchgeführte Projekte vorgestellt.

Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Projekte an sich, stand insbesondere die Frage der Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung im Mittelpunkt des Fachgesprächs. Es zeigte sich, dass die Projekte zu einer besseren Kenntnis der Risikowahrnehmung in der Bevölkerung und in speziellen Personengruppen, ebenso wie zu einem verbesserten Verständnis der Wahrnehmung und Wirkung von Informations- und Kommunikationsmaßnahmen zu Mobilfunk beitragen konnten. Die Bedeutung einer verstärkten Umsetzung dieser Erkenntnisse in die Praxis wurde hervorgehoben.

Das Programm des Fachgesprächs kann dem Faltblatt entnommen werden.

Ein ausführlicher Bericht wurde von der Rapporteurin des Workshops, Dr. T. Emilie van Deventer, von der World Health Organization (International EMF-Project) der WHO erstellt. Dr. T. Emilie van Deventer gilt hierfür ein besonderer Dank.

Die im folgenden aufgeführten Vorträge stehen ebenfalls zum Download als pdf-Datei bereit.

Session 1
Risk perception EMF
Identifying the general public's fears and anxieties with regard to the possible risks of high frequency electromagnetic fields of mobile telecommunications (annual surveys since 2003) Janina Belz
Infas
Analysis of target groups for differentiated informationChristiane Pölzl
BfS
A socio-psychological analysis of the characteristics and needs for information and communication of electromagnetic hypersensitive persons Svend Ulmer
Katalyse Institute
Session 2
Information and communication measures
Examination of the knowledge and effects of information activities in the field of mobile telecommunications and determination of further approaches to improve information of different population groups Uwe Pfennig
DIALOGIK gGmbH
EMF-Portal: Internet Information System and Literature Database on Biomedical Effects of Electromagnetic Fields Roman Wienert
Aachen University
Session 3
Site acquisition in Germany - Risk communication in local settings
Introduction: Site acquisition process in Germany – Framework, Regulation, Practice Dietmar Gerhardt
E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG
Realisation of the self commitment Antje Seidel-Schulze
DIFU
Support of the co-operation between the mobile telecommunication actors by the local agenda 21 Albrecht Hoffmann
Agenda Transfer GmbH
Development of an online manual for successful siting processes and risk communication in the field of mobile phone conflictsOrtwin Renn
DIALOGIK gGmbH
Mediation as a possible alternative dispute resolution method in the site acquisition processKlaus Winkler
Sumbiosis GmbH

Die Diskussionen zu den einzelnen Teilveranstaltungen standen unter folgenden Fragestellungen:

  1. Was wurde durch die Projekte erreicht? Welche Erkenntnisse konnten gewonnen werden?
  2. Wo bestehen nach wie vor Kenntnislücken?
  3. Welche Bedeutung haben die Ergebnisse für die Praxis im Bereich der Information und Risikokommunikation?
  4. Gibt es Erkenntnisse, die auf ähnliche Situationen in der Zukunft übertragen werden können?

Nach Abstimmung mit den Teilnehmern des Fachgesprächs können folgende Ergebnisse der Diskussionen festgehalten werden:

1. Was wurde durch die Projekte erreicht? Welche Erkenntnisse konnten gewonnen werden?

  • Die Umfragen, die im DMF durchgeführt wurden, bieten eine gute und fundierte Datenbasis über die Risikowahrnehmung im Bereich Mobilfunk in der allgemeinen Bevölkerung und in bestimmten Subgruppen. Zahlreiche zusätzliche Fragen können durch eine weitergehende Analyse der vorhandenen Daten beantwortet werden.
  • Die Auswertung der jährlichen Umfragen zeigt eine deutliche Stabilität des Ausmaßes der öffentlichen Besorgnis und der empfundenen Beeinträchtigung über die Jahre hinweg. Auch in der vergleichenden Risikowahrnehmung ist eine deutliche Stabilität zu erkennen. Dennoch sollte bei der Interpretation der Daten ein möglicher Selbstselektions-Bias beachtet werden: Wenn unbesorgte Personen eher eine Beteiligung an der Befragung verweigern als besorgte Personen, könnte das zu einer Unterschätzung des Anteils unbesorgter Personen führen.
  • Bezogen auf die allgemeine Bevölkerung zeigt der Vergleich verschiedener möglicher Gesundheitsrisiken dass zahlreiche andere Risiken (z.B. Luftverschmutzung, UV-Strahlung oder gentechnisch veränderte Lebensmittel) höher eingeschätzt werden als elektromagnetische Felder. Dennoch ist in bestimmten Subgruppen die Sorge bzgl. elektromagnetischer Felder und die wahrgenommene Beeinträchtigung hoch.
  • Die Ergebnisse zeigen zentrale Aspekte einer Verbesserung der Informations- und Kommunikationsmaßnahmen für spezifische Zielgruppen. Z.B. benötigen stark besorgte Bevölkerungsgruppen spezifische Empfehlungen, wie sie ihre Exposition reduzieren können – ungeachtet der Frage eines Zusammenhangs zwischen Exposition und gesundheitliche Wirkungen.
  • In Bezug auf den Standortplanungsprozess wurden sowohl die Selbstverpflichtung als auch die Vereinbarungen auf Länderebene als geeignetes Mittel für eine Verbesserung der Konfliktsituation in den Kommunen gesehen. Allerdings wurde für das Ziel der Beurteilung der Umsetzung der Selbstverpflichtung eine kritischere Sicht in den jährlichen Gutachten empfohlen.

2. Wo bestehen nach wie vor Kenntnislücken?

  • Die deskriptiven Ergebnisse der jährlichen Umfragen zeigen die allgemeine Einstellung der Bevölkerung gegenüber Mobilfunk und elektromagnetischen Feldern über die Zeit hinweg und geben Einblick in soziodemografische Aspekte. Es sind aber mehr Informationen über die Gründe für Besorgnis erforderlich.
  • In weiteren Untersuchungen muss geklärt werden, inwieweit die Stabilität der Zahlen ein Zeichen mangelnder Effektivität von Kommunikationsmaßnahmen sind.
  • Es sollte verstärktes Gewicht auf die vergleichende Untersuchung von Risikowahrnehmung und –kommunikation im internationalen Kontext gelegt werden.
  • Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz sind wichtige Aspekte in persönlichen Kommunikationssituationen. Es bleibt offen, ob sie auch für die Risikokommunikation, die oftmals in einem unpersönlichen Rahmen stattfindet, relevant sind. Darüber hinaus sind konkrete Möglichkeiten zu identifizieren, wie Vertrauen oder Akzeptanz aktiv gesteigert werden können.
  • Notwendige Voraussetzung für die Vermittlung von Glaubwürdigkeit nach außen ist ein umfassender interner Diskussionsprozess einer Institution, der den Austausch der verschiedenen mit einem Thema befassten Personen und Abteilungen dieser Institution im Einklang mit ggf. bestehenden Leitbildern gewährleistet.
  • Detaillierte Kenntnis über die Kriterien Laien-orientierter, verständlicher und glaubwürdiger Informationen ist erforderlich. Welche konkreten Themen und Inhalte sollten für Bevölkerungsgruppen die mehr Informationen bedürfen, in Betracht gezogen werden (z.B. biologische Aspekte, Exposition, etc.)?
  • Die Ergebnisse der zahlreichen Einzelstudien zu Risikowahrnehmung, Risikokommunikation und spezifische Zielgruppen müssen zusammen geführt werden. Eine Metaanalyse der Daten und Ergebnisse wurde als notwendige Maßnahme für eine umfassende Auswertung beurteilt. Zudem müssen die Ergebnisse in Form konkreter Maßnahmen in die Praxis umgesetzt werden.
  • Eine begleitende Evaluation bereits bestehender wie auch neuer Maßnahmen und Materialien zeigt deren Bedeutung für die Risikokommunikation auf und dient insofern deren Verbesserung. Empirische Evaluationsstudien erfordern klare Kriterien, wie z.B. Verbesserung gemessen werden kann und ebenso klare Definitionen der Ziele der Risikokommunikation.
  • In Situationen der Risikokommunikation müssen Unterschiede zwischen Experten und Laien bzgl. der Definition und Verwendung des Begriffs „Risiko“ stärker berücksichtigt werden. Dies betrifft insbesondere eine verstärkte Erklärung der für Laien weitgehend unbekannten Expertenterminologie (z.B. Anwendung der Begriffe „risk“, „hazard“, „relative risk“).
  • Weitere Forschung ist erforderlich für den Umgang mit dem in der Praxis häufig auftretenden Problem der Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheiten sowie des gesellschaftlichen Umgangs damit.
  • Empfehlungen für einen adäquaten Umgang mit Multiplikatoren wie z.B. Ärzten müssen erarbeitet werden. Welche Wirkung haben Trainingsseminare und wie können sie optimiert werden?
  • Mehr Informationen sind erforderlich zur Beantwortung der Fragen: Wie kann in der Risikokommunikation mit Personengruppen unterschiedlicher Überzeugungen umgegangen werden? Welchen Einfluss haben Informationen auf verschiedene Zielgruppen? Welches sind die Mechanismen, welches ihre Bedeutung? Wie sollte mit Emotionen in der Kommunikation umgegangen werden?

3. Welche Bedeutung haben die Ergebnisse für die Praxis im Bereich der Information und Risikokommunikation?

  • Den spezifischen und unterschiedlich motivierten Informationsbedürfnissen muss in differenzierterer Form entsprochen werden. Dies betrifft sowohl den Inhalt als auch die Ausgestaltung und das Medium zur Mitteilung der Maßnahmen. Entscheidungen über die jeweils wichtigen Zielgruppen müssen getroffen werden unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen der Gruppen ebenso wie ihres Kenntnissstands und ihrer Motivation, Informationen zu verarbeiten.
  • Die Evaluation der Risikokommunikationsmaßnahmen muss inhärenter Teil ihrer Anwendung sein.
  • Kommunen stehen der Notwendigkeit gegenüber, Risikokommunikation auf der örtlichen Ebene zu praktizieren und Konflikte zu lösen, die während des Standortwahlverfahrens auftreten können. Insbesondere für kleinere und ländliche Kommunen ist eine Unterstützung in Form konkreter und umsetzbarer Empfehlungen wichtig. Dabei sollte deutlich gemacht werden, dass Kommunen nicht die Aufgabe haben, mit dem Thema des Risikos bzw. der Gesundheit umzugehen. Für wichtig wurden Messungen elektromagnetischer Felder erachtet. Sie stellen für die Kommunen eine Möglichkeit dar, ihre Bürger konkret über risikorelevante Parameter zu informieren.
  • Es wurde eine verstärkte Nutzung der Medien für Informationen über elektromagnetische Felder empfohlen. Ziel ist es, das Thema EMF als „alltägliches“ Thema in den Medien zu platzieren.

4. Gibt es Erkenntnisse, die auf ähnliche Situationen in der Zukunft übertragen werden können?

  • Sowohl die Notwendigkeit an sich, spezifische Informationsbedürfnisse in der Öffentlichkeit zu identifizieren, als auch die Nutzung angemessener Informations- und Kommunikationsstrategien können auf zahlreiche andere ähnliche Situationen übertragen werden. Dabei muss das Augenmerk auf tatsächliche Ähnlichkeiten und Unterschiede gelegt werden.
  • Die Mehrheit der innerhalb des DMF gewonnenen Projektergebnisse zu Risikowahrnehmung und –kommunikation sind spezifisch für den Themenbereich der elektromagnetischen Felder. Allgemeine Aspekte, wie z. B. die Risikowahrnehmung beeinflussende Aspekte, und die Anforderungen, die an eine Kommunikation zwischen Laien und Experten zu stellen sind, können jedoch auf andere Situationen übertragen werden.
  • Übertragen werden kann auch die Tatsache der unterschiedlichen Betroffenheit von Personen bei einem Thema, wobei die Zusammensetzung betroffener Gruppen spezifisch für das jeweilige Risiko ist.

Der englische Originaltext "Conclusions from the DMF Workshop on Risk Communication" liegt hier zum Download als PDF-Datei vor.