"Mobilkonflikt - Begleitstudie zum Mobilfunk-Dialog". Eine Studie von Katrin Meier, Betty Zucker, Elleni Erifilidis, Juni 2004

Diese Studie wurde im Rahmen des Projektes "Begleitforschung zum Dialog nachhaltiger Mobilfunk", das von der Stiftung Risiko-Dialog bearbeitet wurde, erstellt. Ziel war es, ein vertieftes Verständnis für die kontrovers geführte Mobilfunkdebatte in der Schweiz zu schaffen und daraus Ansatzpunkte für eine lösungsorientierte Diskussion zu entwickeln.

Die Studie kann sowohl im Internet unter http://www.risiko-dialog.ch/Publikationen/Riskdok/riskDok_2004.pdf eingesehen als auch kostenlos in Papierform bestellt werden.

Methode

Die Autoren legen ihrer Untersuchung Niklas Luhmanns Theorie der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft zu Grunde. Demnach hat sich die Gesellschaft im Lauf der Moderne in einzelne Funktionssysteme ausdifferenziert. Die entstandenen Teilsysteme haben entsprechend ihrer jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen eine je eigene Logik. Dementsprechend weichen auch die Problemwahrnehmungen, Risikobeurteilungen und der Umgang mit Konflikten in den einzelnen Systemen voneinander ab.

Vor diesem Hintergrund wurden die unterschiedlichen Logiken der zentralen Interessensgruppen der schweizerischen Mobilfunk-Debatte untersucht. Im Rahmen von Fokusgruppen mit insgesamt ca. 40 Akteuren aus den Bereichen: Wirtschaft/Industrie, Politik/Behörden, Wissenschaft/Forschung, Gesundheit/Ärzte, Technik sowie NGOs/BO (etablierte Konsumenten- und Umweltorganisationen und lokale Betroffenenorganisationen) wurden Wahrnehmungen, Denkweisen, Argumentations- und Kommunikationsmuster erfasst und Konsens und Dissens zwischen den Gruppen ausgewertet.

Ergebnisse

Die Autoren stellten fest, dass sich die Missverständnisse und Blockaden im schweizerischen Mobilfunk-Dialog sowie verschiedene Gruppenkonstellationen durch die systemspezifischen Wahrnehmungs- und Argumentationsweisen der verschiedenen Akteure erklären lassen. Als wichtigste Treiber im Mobilfunk-Konflikt werden die Akteure Wirtschaft/Industrie, NGO/BO sowie Politik/Behörden bezeichnet. Die Gruppen Ärzte/Gesundheit, Wissenschaft/Forschung und Technik bewegen sich nicht aktiv im Kern des Konflikts. Sie sind in ihren Expertenrollen eher einem äußeren Konfliktkreis zuzuordnen und werden von den Hauptakteuren des inneren Kreises gerne zur Stärkung der eigenen Position herangezogen.

Die Analyse zeigt, dass sich die Diskussionen um den Mobilfunk in einem Spannungsfeld zwischen Versorgung und Vorsorge bewegen. Im Zentrum dieses Vorsorge-Versorgungs-Dilemmas steht die Gruppe Politik/Behörden. Wirtschaft/Industrie argumentieren aus Sicht der Versorgung, NGO/BO aus Sicht der Vorsorge.

Themen, die eher "im Hintergrund" des Konfliktes ablaufen und selten direkt diskutiert werden, prägen die besondere Konfliktsituation im Mobilfunk. So sind z.B. unterschiedliche Definitionen von Gesundheit grundlegender Bestandteil des Konflikts. Wirtschaft/Industrie, Politik/Behörden, Wissenschaft und Technik beziehen sich beim Thema Gesundheit eher auf Mehrheiten, Massen und Standards. Im Gegensatz dazu argumentieren Ärzte, NGOs und Betroffenenorganisationen eher mit Einzelfällen bzw. Minderheiten. Ein weiteres bedeutendes Hintergrundthema ist der Umgang mit Unsicherheiten bzw. Ungewissheiten. Für Wissenschaft/Forschung, Gesundheit/Ärzte und Technik ist die Akzeptanz von und der Umgang mit Unsicherheit alltäglich. Für die Akteure Wirtschaft/Industrie, Politik/Behörden und NGO/BO ist dagegen eine klare Positionierung wichtig, Unsicherheiten werden im Sinne der jeweiligen Argumentationslinie abgeschwächt.

Schlussfolgerungen der Autoren

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Einigung über die Frage "besteht ein Risiko oder besteht keines" aufgrund der teilweise so unterschiedlichen Logiken nicht erzielt werden kann. Für den bestehenden Dialog stellen sie fest, dass Auseinandersetzungen oftmals nicht mehr als Konflikt über die Sache, sondern als Konflikt mit den anderen Akteuren geführt werden.

Für die weitere Gestaltung des Mobilfunk-Dialogs wird empfohlen, zunächst Regeln für die Beziehungsebene zu schaffen, um einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen und Sachfragen wieder in den Vordergrund zu rücken. Insbesondere Akteure des inneren Konfliktkreises sollten in intensiveren Kontakt miteinander treten. Diskutiert werden sollten nicht nur Themen, die vordergründig den Konflikt prägen, sondern eher im Hintergrund ablaufen.

Bewertung des BfS

Die vorliegende Studie stellt eine praxisorientierte Analyse dar, die auf Basis der Systemtheorie von N. Luhmann einen fundierten und strukturierten Einblick in die Argumentationsweisen und Logiken der zentralen Akteure der Mobilfunkdebatte gibt.

Diese Darstellungsweise ermöglicht dem interessierten Akteur eine je nach Anforderungen und Möglichkeiten spezifische Umsetzung der Ergebnisse und Empfehlungen.

Der Bericht ist auch für den soziologisch bzw. konflikttheoretisch nicht vorgebildeten Leser gut verständlich.

Trotz der sicherlich landesspezifischen Eigenschaften der Mobilfunkdebatte in der Schweiz lassen sich aus den Ergebnissen interessante Aspekte für den Dialog in Deutschland ableiten, wie z.B. die Konfliktrelevanz von "Hintergrundthemen", oder die Erfordernis einer verstärkten Verlagerung des Dialogs von der Beziehungsebene auf die Sachebene. Nur so kann – über die Akzeptanz von kaum zu lösenden Dissensen – der Fokus des Dialogs auf die Erarbeitung von gemeinsam akzeptierten Verfahren im Umgang mit dem Konfliktthema Mobilfunk gelenkt werden.