Untersuchung elektrosensibler Personen im Hinblick auf Begleitfaktoren bzw. -erkrankungen, wie z.B. Allergien und erhöhte Belastung mit bzw. Empfindlichkeit gegenüber Schwermetallen und Chemikalien

Thema

Untersuchung elektrosensibler Personen im Hinblick auf Begleitfaktoren bzw. -erkrankungen, wie z.B. Allergien und erhöhte Belastung mit bzw. Empfindlichkeit gegenüber Schwermetallen und Chemikalien

Beginn

01.08.2005

Ende

30.04.2007

Projektleitung

Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Psychiatrische Klinik und Poliklinik

Zielsetzung

Bei repräsentativen Umfragen im Auftrag des BfS gaben etwa 9 % der Bevölkerung an, sich durch die hochfrequenten Felder des Mobilfunks in ihrer Gesundheit beeinträchtigt zu fühlen. Ein Teil dieser Personen bezeichnet sich selbst als elektrosensibel, d.h. als besonders empfindlich gegenüber niederfrequenten elektrischen und magnetischen und hochfrequenten elektromagnetischen Feldern. Ein großer Teil dieser Personen gibt an, zusätzlich mit anderen Faktoren bzw. Erkrankungen belastet zu sein. Die wichtigsten dieser Faktoren bzw. Erkrankungen sind Allergien und eine besonders hohe Belastung mit bzw. eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Schwermetallen und Chemikalien. Die Frage, ob diese Begleitfaktoren tatsächlich bedeutsam sind für das Auftreten von Elektrosensibilität, ist in den bisherigen Studien zu dieser Thematik kaum berücksichtigt worden, sie ist aber für die betroffenen Personen von hoher Bedeutung.

In dem Forschungsvorhaben sollte anhand objektiver medizinischer Tests geklärt werden, ob dieser Zusammenhang tatsächlich besteht, und wie er sich gegebenenfalls auf Art und Stärke der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen auswirkt. Außerdem sollte die Personengruppe der Elektrosensiblen anhand medizinischer Parameter möglichst gut charakterisiert werden.

Zwischenergebnisse

Der Forschungsnehmer hat einen Zwischenbericht erstellt, in dem das Verfahren zur Rekrutierung der Probanden (Elektrosensible und Kontrollen) und erste Ergebnisse der Charakterisierung der Studiengruppen vorgestellt wurden.

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Methodik

Es wurden insgesamt 231 Personen untersucht, davon waren 130 Elektrosensible und 101 nach Alter, Geschlecht und Body Mass Index angepasste Kontrollpersonen. Die Gruppe der Elektrosensiblen enthielt Personen aus Selbsthilfegruppen, Personen, die sich über den „Mainzer EMF-Wachhund“ oder sonst freiwillig gemeldet hatten und Personen, die auch in einem anderen Vorhaben des DMF (an der Universität Regensburg) untersucht wurden. Erste Voraussetzung für die Aufnahme in die Gruppe der Elektrosensiblen war, dass die betreffende Person sich selbst als elektrosensibel bezeichnete.

Die Probanden wurden zunächst anhand eines Fragebogens befragt, der 54 Beschwerden enthielt. Dabei sollten sie deren Intensität während der letzten 30 Tage angeben und ihre Einschätzung, ob die Beschwerden auf elektromagnetische Felder zurückzuführen sind. Für die Aufnahme in die Gruppe der Elektrosensiblen musste eine bestimmte Punktzahl hinsichtlich Anzahl und Intensität der auf elektromagnetische Felder zurückgeführten Beschwerden erreicht werden.

Im nächsten Schritt füllten alle Probanden zuhause Fragebögen zur Selbstbeurteilung aus. Es wurden größtenteils standardisierte Fragebögen verwendet, mit deren Hilfe umfangreiche Informationen zu Befindlichkeit, Beschwerden und Stressbelastung gesammelt wurden.

Alle Probanden wurden anschließend durch einen erfahrenen Arzt untersucht. Dabei wurden soziodemographische Daten und vor allem eine umfangreiche Anamnese erhoben. Anhand standardisierter Instrumente wurden Art und Ausmaß psychischer und psychiatrischer Störungen ermittelt.

Außerdem wurde eine Vielzahl an biologisch/medizinischen Daten erhoben mit dem Ziel, objektive Daten zum Gesundheitszustand der Probanden zu erhalten. Folgende Parameter wurden untersucht:

  • Blutchemisches Routinelabor inkl. Blutbild
  • Herzratenvariabilität als Indikator der autonomen Regulation
  • die genetisch messbare Leberentgiftungskapazität (22 Untersuchungen an 12 Genen, die die Entgiftungskapazität der Leber charakterisieren)
  • der genetische messbare Anteil des Infektions- und Fatigue-Risikos (fünf genetische Untersuchungen an Genen, die die Immunantwort modulieren)
  • die Bestimmung des HLA-Status (HLA=human leukocyte antigens)
  • ein 74 Allergene umfassender Allergen-Chip, bei dem an einer Blutprobe parallel die Reaktionsfähigkeit auf häufige Allergene getestet werden kann
  • Röntgenfluoreszenz-spektroskopische Bestimmung von Cadmium, Blei, Quecksilber, Chrom und Kupfer im Blut

Ergebnisse

Hinsichtlich Bildungsniveau und Familienstand zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Elektrosensiblen und den Kontrollpersonen, die Elektrosensiblen waren aber signifikant weniger berufstätig als die Kontrollpersonen.

Mehr als die Hälfte der untersuchten Elektrosensiblen hatten an mehr als fünf Tagen pro Woche Beschwerden, die überwiegend als „eher stark“ bis „sehr stark“ erlebt wurden und sie gaben an, dass die Beschwerden schon seit mehr als fünf Jahren bestünden. Als besonders problematisch wurde von den meisten Betroffenen die Belastung am Schlafplatz erlebt.

Ca. 80 % der Betroffenen, aber auch etwa 20 % der Kontrollpersonen gaben an, Maßnahmen zu ergreifen, um die Belastungen durch elektromagnetische Felder zu reduzieren. Vorherrschend unter den ergriffenen Maßnahmen sind Versuche der Abschirmung, des Ausweichens („Schlafplatz regulieren“) sowie die Begrenzung des Gebrauchs möglicherweise problematischer Geräte.

An vorderer Stelle der Beschwerden rangieren Schlafstörungen, Mattigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Unruhe und Schmerzen. Fast 80 % der Betroffenen sind in ärztlicher Behandlung, etwa 12 % wurden wegen der Beschwerden bereits stationär im Krankenhaus behandelt.

Oft erfolgte die Behandlung medikamentös an den Symptomen orientiert. Sehr häufig wurden zur sog. Schulmedizin „alternative“ Behandlungsverfahren angewandt (z. B. Schwermetallausleitung, Zahnsanierung, Homöopathie).

Ein Drittel der elektrosensiblen Probanden, aber nur 4 % der Kontrollen, gab an, auch an chemischen Umweltbelastungen zu leiden.

Hinsichtlich der Lebenszeitprävalenz körperlicher Erkrankungen aus unterschiedlichen Bereichen ließ sich bei den elektrosensiblen Probanden kein eindeutiges Muster feststellen. Sie berichteten aber häufiger als die Kontrollen über Krankheiten in der Anamnese.

Die Elektrosensiblen litten im Durchschnitt häufiger unter Kopfschmerzen als die Kontrollen, und ihre subjektive Schlafqualität war deutlich schlechter als diejenige der Kontrollpersonen.

Die allgemeine Lebenszufriedenheit der Elektrosensiblen unterschied sich in der Summe nicht signifikant von der der Kontrollpersonen, die gesundheitsbezogene Lebensqualität war aber bei den Elektrosensiblen verringert, dies wurde aber durch eine erhöhte Lebenszufriedenheit in anderen Bereichen ausgeglichen. Die Depressivität der Elektrosensiblen war erhöht, was aber vor allem auf Einschränkungen in den Bereichen Schlaf, Arbeitsfähigkeit, soziale Kontakte und gesundheitliche Probleme zurückzuführen war, während in den Bereichen Stimmung, Schuldgefühle, depressive Hemmung keine Unterschiede feststellbar waren.

Ein Teil der elektrosensiblen Personen war von psychiatrischen Begleiterkrankungen betroffen, wobei aber gravierende, akute psychiatrische Erkrankungen bei der Rekrutierung der Probanden ausgeschlossen wurden. Besonders auffallend war das signifikant deutlich höhere Vorkommen von somatoformen Störungen bei den elektrosensiblen Personen im Vergleich zu den Kontrollpersonen. Der Begriff „somatoforme Störungen“ bezeichnet unterschiedliche Störungen, bei denen Personen an körperlichen Symptomen leiden, für die keine bzw. keine adäquate körperliche Ursache gefunden werden kann. Am häufigsten trat mit 38 % die somatoforme autonome Funktionsstörung auf. Die Symptome werden hierbei so geschildert, als beruhten sie auf der körperlichen Krankheit eines Organsystems, das weitgehend oder vollständig vegetativ innerviert und kontrolliert wird, also z. B. das Herz-Kreislauf- oder das Magen-Darm-System.

In der klinisch-chemischen Laboranalytik wurden gezielt Parameter untersucht, die Aussagen zulassen hinsichtlich Eisenmangel, Schilddrüsenunterfunktion, Leberfunktionsstörung oder chronisch entzündlichen Prozessen. Bei den meisten Parametern zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen elektrosensiblen und Kontrollpersonen. Bei den wenigen gefundenen statistisch signifikanten Abweichungen ist die klinische Bedeutung zweifelhaft, da es sich überwiegend um relativ geringe Gruppenunterschiede innerhalb der Normbereiche handelte.

Bei den Serumwerten der Metalle Quecksilber, Chrom und Blei bestand kein signifikanter Gruppenunterschied zwischen elektrosensiblen und Kontrollpersonen. Insbesondere ließen sich keine erhöhten Serumwerte an Zahnmetallen feststellen. Der Serumgehalt an Kupfer war in der Gruppe der Elektrosensiblen deutlich erhöht, der an Cadmium erniedrigt. Die auf Schwermetallentgiftungen (z .B. Ausleitungstherapien und Zahnsanierungen) ausgerichteten Behandlungen eines Teils der Elektrosensiblen waren, soweit in den Befragungen anhand der Beschwerdeprofile und Beschwerdeintensitäten erkennbar, offensichtlich wirkungslos.

Im Hinblick auf die Entgiftungsfunktion der Leber wurden 22 Genvarianten an 12 Genen untersucht, die für die Verarbeitung von Fremdstoffen (Giften und Medikamenten) wesentlich sind. Die wenigen signifikanten Unterschiede zwischen der Gruppe der Elektrosensiblen und der Kontrollen waren nach Korrektur für multiples Testen nicht mehr signifikant.

Bei der Testung auf 74 häufige Allergene aus verschiedenen Bereichen (Pollen, Tierallergene, Nahrungsmittel) zeigte sich, dass die Mehrheit der elektrosensiblen Personen auf keines der Allergene reagierte. Außerdem war der Schweregrad der Symptomatik nicht mit der Reaktionsfähigkeit auf Allergene assoziiert.

Die vergleichende Untersuchung an für die Immunantwort relevanten Genvarianten ergab keine klinisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Elektrosensiblen und Kontrollpersonen. Bei der Bestimmung des HLA-Status ergaben sich ebenfalls keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Bei der Auswertung der untersuchten Parameter zur Herzratenvariabilität konnte kein Unterschied zwischen der Gruppe der Elektrosensiblen und der Gruppe der Kontrollpersonen festgestellt werden. Eine erhebliche Einschränkung der Herzratenvariabilität als Zeichen einer organischen autonomen Dysfunktion oder einer schlechten Anpassungsfähigkeit des Herzkreislaufsystems wurde nicht gefunden.

Der Abschlussbericht steht zum Download als pdf-Datei (3.862 KB) zur Verfügung.

Publikationen

  • Weidemann J (2008): Analyse der Herzratenvariabilität bei elektrosensiblen Personen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Fazit

Im Rahmen des Vorhabens wurde die bisher umfangreichste bekannte Untersuchung elektrosensibler Personen im Hinblick auf die verschiedensten relevanten medizinischen Parameter durchgeführt. Ziel war nicht die Abklärung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs, sondern eine möglichst umfassende Beschreibung des Krankheitsbildes und der davon Betroffenen. Insbesondere sollte geklärt werden, ob die von Betroffenen behauptete im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhte Belastung mit Allergien und Chemikalien bzw. verringerte Entgiftungskapazität der Leber tatsächlich gegeben ist.

Im Gruppenvergleich ergaben sich zwar bei einigen klinisch-chemischen Parametern Unterschiede zwischen den Elektrosensiblen und den Kontrollpersonen, die aber innerhalb der Normbereiche lagen und daher von Ärzten als klinisch nicht bedeutsam bewertet werden. Insbesondere zeigten sich keine Veränderungen, die die Symptomatik der betroffenen Personen erklären könnten. Für eine besondere Belastung mit Allergien und Chemikalien und eine verringerte Entgiftungskapazität der Leber ergaben sich keine Anhaltspunkte.

Im Rahmen eines früheren UFOPLAN- Vorhabens wurde versucht, ein charakteristisches Beschwerdenprofil oder Beschwerdencluster zu definieren, das dem Phänomen „Elektrosensibilität“ zugeordnet werden könnte. Dies ist nicht gelungen. In dem hier vorliegenden Vorhaben konnten keine medizinisch-biologischen Parameter ermittelt werden, anhand derer elektrosensible Personen eindeutig charakterisiert werden könnten. Daraus ergibt sich insgesamt, dass die Elektrosensiblen eine sehr heterogene Gruppe darstellen, die nicht mit einem einfachen Modell beschrieben werden kann.

Es zeigte sich aber, dass signifikant deutlich mehr Elektrosensible als Kontrollpersonen an somatoformen Störungen leiden, d. h. dass für die von ihnen beschriebenen Symptome keine bzw. keine adäquate körperliche Ursache gefunden werden kann.

Da die Elektrosensibilität für einige Betroffene ein ernsthaftes gesundheitliches Problem darstellt und sie unter hohem Leidensdruck stehen, ist die weitere Suche nach auslösenden oder zur Aufrechterhaltung führenden Faktoren für das Krankheitsbild notwendig. Außerdem sollten auch Voraussetzungen für effektive Therapiemaßnahmen erarbeitet werden. Hinweise dafür ergeben sich aus den Ergebnissen des vorliegenden Vorhabens und der weiteren Vorhaben im Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramm zu dieser Thematik.

Weiterer Forschungsbedarf besteht hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs der Elektrosensibilität über einen längeren Zeitraum hinweg und möglicher Verbindungen zu anderen Krankheitsbildern, für die Umwelteinflüsse als Ursache angegebenen werden (wie z. B. multiple Chemikaliensensibilität).

Diese Fragestellungen sind aber unter dem Aspekt, dass kein ursächlicher Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern besteht, eher in einem breiteren umweltmedizinischen Rahmen als im Rahmen des Strahlenschutzes zu behandeln.