Möglicher Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung des Mobilfunks auf das Auslösen und den Verlauf von Phantomgeräuschen (Tinnitus)

Thema

Möglicher Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung des Mobilfunks auf das Auslösen und den Verlauf von Phantomgeräuschen (Tinnitus)

Beginn

01.09.2005

Ende

31.08.2007

Projektleitung

Hörforschungszentrum Tübingen

Zielsetzung

Das Mikrowellen-Hören ist im Bereich der Radar-Strahlung ein bekanntes Phänomen. Zu Effekten hochfrequenter elektromagnetischer Felder des Mobilfunks auf das Hörsystem liegen dagegen nur wenige Studien vor. Diese deuten auf mögliche physiologische Effekte, nicht aber auf gesundheitliche Beeinträchtigungen hin. Demgegenüber stehen Hinweise aus der Bevölkerung und von niedergelassenen Ärzten, die von Hörstörungen sowie Tinnitus sprechen. Diese Diskrepanz soll geklärt werden. Ziel des Vorhabens ist es zu klären, ob und ab welcher Intensität hochfrequente elektromagnetische Felder des Mobilfunks Tinnitus auslösen können. Der Einfluss gepulster Felder des Mobilfunks nach GSM Standard auf die Entstehung von Tinnitus wird mit verhaltensphysiologischen und molekularbiologischen Methoden untersucht. Ein derartiger Versuchsansatz ist am Hörforschungszentrum Tübingen am Tiermodell Ratte etabliert. In diesem Vorhaben werden Ratten unterhalb und oberhalb der zulässigen Teilkörper-SAR-Werte exponiert und dann auf Tinnitus getestet werden. Die Schwellenwerte einer möglichen Wirkung und der Zeitablauf des Effekts sollen bestimmt werden. Der Wirkungsmechanismus wird nach Möglichkeit erläutert.

Ergebnisse

Als erstes Ergebnis haben die Forschungsnehmer eine bewertende Literaturstudie zu möglichen negativen gesundheitlichen Einflüssen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf das Hörsystem erstellt. Die wissenschaftlichen Arbeiten, die es auf diesem Gebiet zu Beginn des Projektes gab (Stand Ende 2005), wurden kritisch bewertet. Die Fachliteratur lässt keinen Schluss darauf zu, dass Mobilfunkfelder das Hörvermögen in negativer Weise beeinflussen. In Bezug auf einen möglichen Einfluss von Mobilfunkfeldern auf die Auslösung von Phantomgeräuschen (Tinnitus) gibt es bislang in der wissenschaftlichen Literatur keine Angaben.

Die Literaturstudie (Anlage II des gedruckten Abschlussberichts) liegt zum Download als PDF-Datei (110 kB) vor.

Die Expositionsanlage für in dieser Studie untersuchten Versuchstiere (Ratten) wurde von IMST (Institut für Mobil- und Satellitenfunktechnik GmbH) aufgebaut und dosimetrisch charakterisiert. Dabei handelt es sich um eine lokale Exposition mit einer tragbaren Antenne im Bereich der Ohren. Die Ratten konnten sich während der Exposition frei bewegen. Die ringförmige Antenne wurde am Körper der Tiere um den Hals befestigt und von den Tieren gut akzeptiert. Sie wurde durch ein flexibles Kabel mit Bissschutz gespeist. Es wurden SAR-Werte von 0 (sham), 0,02, 0,2, 2 und 20 W/kg angewendet. Die Exposition erfolgte für vier Wochen an jeweils fünf Tagen für je zwei Stunden und wurde verblindet durchgeführt. Kontrolluntersuchungen zeigten, dass auch bei einer Exposition mit 20 W/kg die Temperatur unmittelbar unter der Antenne und im Gehörgang nur geringfügig (max. 1,5°C) anstieg. Die Körpertemperatur war nicht beeinflusst.

Die technische Dokumentation zur Expositionsanlage (Anlage I des gedruckten Abschlussberichts) liegt zum Download als PDF-Datei (1.201 KB) vor.

Die Ratten wurden vor Beginn der Exposition darauf trainiert, auf den Wechsel von Stille und Geräuschwahrnehmung mit einer deutlichen Verhaltensänderung zu antworten. Wahrnehmung von Ton beantworten die Tiere indem sie zwischen zwei Belohnungsnischen, in denen ein Tropfen Zuckerwasser als Belohnung angeboten wird, hin und her laufen. Bei Stille sitzen sie auf einer Ruheplattform und warten auf die nächste Tonwahrnehmung. Dies wird erreicht durch Belohnung mit Zuckerwasser während ein Rauschton abgespielt wird und Bestrafungen mit leichten Elektroschocks bei Zugriff auf den Futterspender bei Stille. Eine erhöhte Aktivität der Tiere bei Stille deutet auf die Wahrnehmung von Phantomgeräuschen (Tinnitus) hin. Das Verhalten der Tiere zeigte eine signifikante Anhängigkeit vom Zeitverlauf der Experimente, da die Tiere ihre Aufgabe während der sechs Untersuchungswochen ein wenig verlernten. Dieser Effekt war bei der scheinexponierten und allen exponierten Gruppen gleich. Es wurde während der vier Expositionswochen und zwei Erholungswochen zu keinem Zeitpunkt ein signifikanter Einfluss der Expositionsintensität gefunden.

Für molekularbiologische Untersuchungen wurde die Expression aktivitätsabhängiger Gene unmittelbar nach der vierwöchigen Exposition und nach einer Erholungsphase von zwei Wochen untersucht. Mittels RT-PCR (reverse transcriptase polymerase chain reaction) wurde die Aktivität der Gene Arg3.1/Arc (ein aktivitätsabhängiges Gen), BDNF (brain derived nerve growth factor), c-FOS (immediately early gene) im Gehirn (auditorischer Cortex, AC; inferiorer Colliculus, IC), und in der Hörschnecke (Spiralganglien der Cochlea) untersucht. Aus der Fachliteratur ist bekannt, dass im AC die Expression von Arc3.1/Arc bei einem Tinnitus sinkt, im IC und in der Cochlea die Expression von BDNF und c-FOS ansteigt. Ein Anstieg von c-FOS deutet außerdem auf Stress hin.

Beim Vergleich der exponierten und der scheinexponierten Tiere gab es keine einzige quantitative Veränderung in der Expression der genannten Gene, dies bedeutet, dass es keinen Hinweis auf die Induktion von Tinnitus infolge der Exposition gibt. In der Hirnrinde stieg die Variabilität, aber nicht der Mittelwert der Expression der Gene BNDF und Arg3.1/Arc in den bei 2 W/kg und 20 W/kg exponierten Tiere signifikant an. Dies könnte eine variable Reaktion der Tiere auf die leichte Erwärmung unterhalb der Antenne bei höheren SAR-Werten bedeuten.

Beim Vergleich der Käfigkontrollen mit exponierten und scheinexponierten Tieren zeigten sich vier signifikante Veränderungen in der Expression einzelner Gene sowie eine fast durchgehend signifikante Veränderung der Varianz. Dies kann bei insgesamt zwölf Vergleichen teilweise ein statistischer Zufall sein, deutet aber auch auf einen Einfluss der mit der Exposition einhergehenden Behandlung der Tiere hin. Die Effekte - eine geringere Expression von BNDF und c-FOS bei exponierten sowie scheinexponierten Tieren gegenüber Käfigkontrollen – verschwinden z. T. während der Erholungsphase, in der kein Handling der Tiere mehr stattfindet, und deuten auf erhöhte Aktivität und Gedächtnisleistung hin; bei Tinnitus oder Stress wird eine Erhöhung der Expression dieser Gene erwartet.

Der Abschlussbericht (ohne Anlagen) liegt zum Download als PDF-Datei (1.068 KB) vor.

Fazit

Es konnte weder mit verhaltensbiologischen noch mit molekularbiologischen Methoden gezeigt werden, dass elektromagnetische Felder des Mobilfunks nach vier Wochen regelmäßiger Exposition mit bis zu 20 W/kg Tinnitus induzieren. Andere negative Einflüsse auf die Gesundheit und das Hörsystem wurden ebenfalls nicht gefunden. Die verwendeten Methoden waren ausreichend sensitiv und zeigten auch geringe Folgen veränderter Umgebung und Behandlung der Tiere. Die durch diese Einflüsse verursachten Effekte waren den bei einer Induktion von Tinnitus zu erwartenden Veränderungen eher gegenläufig, und zeigten auch deutlich, dass die Tiere nicht unter Stress litten. Die gefundenen Ergebnisse sind im Einklang mit anderen nationalen und internationalen Forschungsprojekten, die ebenfalls keinen negativen Einfluss elektromagnetischer Felder des Mobilfunks auf das Hörsystem zeigen.