Diese Studie wurde im Rahmen des
Projektes "Begleitforschung zum Dialog nachhaltiger Mobilfunk",
das von der Stiftung Risiko-Dialog
bearbeitet wurde, erstellt. Ziel war es, ein vertieftes Verständnis
für die kontrovers geführte Mobilfunkdebatte in der Schweiz
zu schaffen und daraus Ansatzpunkte für eine lösungsorientierte
Diskussion zu entwickeln.
Die Studie kann sowohl im Internet
unter http://www.risiko-dialog.ch/Publikationen/Riskdok/riskDok_2004.pdf
eingesehen als auch kostenlos in Papierform bestellt werden.
Methode
Die Autoren legen ihrer Untersuchung
Niklas Luhmanns Theorie der funktionalen Differenzierung der
Gesellschaft zu Grunde. Demnach hat sich die Gesellschaft im Lauf der
Moderne in einzelne Funktionssysteme ausdifferenziert. Die
entstandenen Teilsysteme haben entsprechend ihrer jeweils
unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen eine je eigene Logik.
Dementsprechend weichen auch die Problemwahrnehmungen,
Risikobeurteilungen und der Umgang mit Konflikten in den einzelnen
Systemen voneinander ab.
Vor diesem Hintergrund wurden die
unterschiedlichen Logiken der zentralen Interessensgruppen der
schweizerischen Mobilfunk-Debatte untersucht. Im Rahmen von
Fokusgruppen mit insgesamt ca. 40 Akteuren aus den Bereichen:
Wirtschaft/Industrie, Politik/Behörden, Wissenschaft/Forschung,
Gesundheit/Ärzte, Technik sowie NGOs/BO (etablierte Konsumenten-
und Umweltorganisationen und lokale Betroffenenorganisationen) wurden
Wahrnehmungen, Denkweisen, Argumentations- und Kommunikationsmuster
erfasst und Konsens und Dissens zwischen den Gruppen ausgewertet.
Ergebnisse
Die Autoren stellten fest, dass sich
die Missverständnisse und Blockaden im schweizerischen
Mobilfunk-Dialog sowie verschiedene Gruppenkonstellationen durch die
systemspezifischen Wahrnehmungs- und Argumentationsweisen der
verschiedenen Akteure erklären lassen. Als wichtigste Treiber im
Mobilfunk-Konflikt werden die Akteure Wirtschaft/Industrie, NGO/BO
sowie Politik/Behörden bezeichnet. Die Gruppen Ärzte/Gesundheit,
Wissenschaft/Forschung und Technik bewegen sich nicht aktiv im Kern
des Konflikts. Sie sind in ihren Expertenrollen eher einem äußeren
Konfliktkreis zuzuordnen und werden von den Hauptakteuren des inneren
Kreises gerne zur Stärkung der eigenen Position herangezogen.
Die Analyse zeigt, dass sich die
Diskussionen um den Mobilfunk in einem Spannungsfeld zwischen
Versorgung und Vorsorge bewegen. Im Zentrum dieses
Vorsorge-Versorgungs-Dilemmas steht die Gruppe Politik/Behörden.
Wirtschaft/Industrie argumentieren aus Sicht der Versorgung, NGO/BO
aus Sicht der Vorsorge.
Themen, die eher "im Hintergrund"
des Konfliktes ablaufen und selten direkt diskutiert werden, prägen
die besondere Konfliktsituation im Mobilfunk. So sind z.B.
unterschiedliche Definitionen von Gesundheit grundlegender
Bestandteil des Konflikts. Wirtschaft/Industrie, Politik/Behörden,
Wissenschaft und Technik beziehen sich beim Thema Gesundheit eher auf
Mehrheiten, Massen und Standards. Im Gegensatz dazu argumentieren
Ärzte, NGOs und Betroffenenorganisationen eher mit Einzelfällen
bzw. Minderheiten. Ein weiteres bedeutendes Hintergrundthema ist der
Umgang mit Unsicherheiten bzw. Ungewissheiten. Für
Wissenschaft/Forschung, Gesundheit/Ärzte und Technik ist die
Akzeptanz von und der Umgang mit Unsicherheit alltäglich. Für
die Akteure Wirtschaft/Industrie, Politik/Behörden und NGO/BO
ist dagegen eine klare Positionierung wichtig, Unsicherheiten werden
im Sinne der jeweiligen Argumentationslinie abgeschwächt.
Schlussfolgerungen der Autoren
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass
eine Einigung über die Frage "besteht ein Risiko oder besteht
keines" aufgrund der teilweise so unterschiedlichen Logiken nicht
erzielt werden kann. Für den bestehenden Dialog stellen sie
fest, dass Auseinandersetzungen oftmals nicht mehr als Konflikt über
die Sache, sondern als Konflikt mit den anderen Akteuren geführt
werden.
Für die weitere Gestaltung des
Mobilfunk-Dialogs wird empfohlen, zunächst Regeln für die
Beziehungsebene zu schaffen, um einen konstruktiven Dialog zu
ermöglichen und Sachfragen wieder in den Vordergrund zu rücken.
Insbesondere Akteure des inneren Konfliktkreises sollten in
intensiveren Kontakt miteinander treten. Diskutiert werden sollten
nicht nur Themen, die vordergründig den Konflikt prägen,
sondern eher im Hintergrund ablaufen.
Bewertung des BfS
Die vorliegende Studie stellt eine
praxisorientierte Analyse dar, die auf Basis der Systemtheorie von N.
Luhmann einen fundierten und strukturierten Einblick in die
Argumentationsweisen und Logiken der zentralen Akteure der
Mobilfunkdebatte gibt.
Diese Darstellungsweise ermöglicht
dem interessierten Akteur eine je nach Anforderungen und
Möglichkeiten spezifische Umsetzung der Ergebnisse und
Empfehlungen.
Der Bericht ist auch für den
soziologisch bzw. konflikttheoretisch nicht vorgebildeten Leser gut
verständlich.
Trotz der sicherlich landesspezifischen
Eigenschaften der Mobilfunkdebatte in der Schweiz lassen sich aus den
Ergebnissen interessante Aspekte für den Dialog in Deutschland
ableiten, wie z.B. die Konfliktrelevanz von "Hintergrundthemen",
oder die Erfordernis einer verstärkten Verlagerung des Dialogs
von der Beziehungsebene auf die Sachebene. Nur so kann – über
die Akzeptanz von kaum zu lösenden Dissensen – der Fokus des
Dialogs auf die Erarbeitung von gemeinsam akzeptierten Verfahren im
Umgang mit dem Konfliktthema Mobilfunk gelenkt werden.
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