in vivo-Experimente unter Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern der Mobilfunkkommunikation
A. Langzeituntersuchungen

Thema

in vivo-Experimente unter Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern der Mobilfunkkommunikation
A. Langzeituntersuchungen

Beginn

01.11.2003

Ende

30.04.2007

Projektleitung

ARGE EMVU GbR (LMU München und TU München)

Zielsetzung

Es wurde die Langzeitwirkung chronisch applizierter elektromagnetischer Felder der Mobilfunktechnologie (GSM und UMTS) in vivo im Tiermodell (WISTAR-Ratten) über drei Tier-Generationen hinweg untersucht. Im Einzelnen umfasst dies den Einfluss der HF-Felder auf (I) „kognitive“ Fähigkeiten und Lernverhalten, (II) die Barrierefunktion der Blut-Hirn-Schranke und auf CA1-Neurone sowie (III) auf immunologische und Stressparameter. Zusätzlich wurden Daten zur Reproduktion und physischen Entwicklung der Tiere erhoben und ausgewertet.

Ergebnisse

Die Befeldung der Tiere (Wistar-RjHAN-Ratten) mit GSM (0.4 W/kg) oder UMTS, (0.4 W/kg) bzw. die Scheinbefeldung erfolgte in abgeschirmten Kammern, die Störungen durch externe Felder sowie eine gegenseitige Beeinflussung ausschließen. Das Expositionskonzept basiert auf einem parabolischen Reflektor mit defokusiertem Primärstrahler und ermöglicht eine chronische Ganzkörper-Exposition frei beweglicher Tieren durch eine quasi-ebene Welle. Die Exposition umfasste drei aufeinanderfolgende Tier-Generationen (F0, F1 und F2) jeweils ab dem Zeitpunkt der Zeugung.

Vor allem in den Generationen F0 und F1 wurden umfangreiche Daten zu Reproduktion und Entwicklung (u. a. Körpergewicht, Kopulations-Index, Fertilitätsindex, Trächtigkeitsrate, Paarungsdauer, Trächtigkeitsdauer, Wurfgröße, Vitalität der Würfe, durchschnittliches Geburtsgewicht, Missbildungsrate, Überlebens-Index, Durchbruch der oberen Schneidezähne, Öffnung der äußeren Gehörgänge, Öffnung der Augen) erhoben. Unterschiede zwischen den exponierten Gruppen und den Kontrollen traten nicht auf.

Zur Untersuchung von „kognitiven“ Fähigkeiten und Lernverhalten wurden operante Verhaltenstests mit allmählich ansteigenden Lernanforderungen eingesetzt. Um eine Belohnung zu erhalten, mussten die Versuchstiere entweder besonders schnell ("differential reinforcement of high rate", DRH) oder unter Berücksichtigung von Sperrintervallen ("differential reinforcement of low rate", DRL) einen Hebel drücken.

Die Untersuchungen wurden in standardisierten Testkammern ("Skinner-Boxen") unter Rechner-Kontrolle während der Nachtstunden durchgeführt. Die zwischen aufeinander folgenden Hebeldrücken auftretenden Zeitintervalle („inter-response intervals, IRIs) wurden mit einer Auflösung von 1 Millisekunde kontinuierlich registriert und ausgewertet. Damit konnte die Lernfähigkeit eines einzelnen Versuchstiers nicht nur durch die Effizienz seiner Hebeldrucktätigkeit (d. h. Verhältnis von richtigen zu falschen Reaktionen) am Ende einer Testsitzung, sondern über eine "Lernkurve" auch durch die Dynamik des Lernprozesses selbst ausgedrückt werden.

Die Analyse mit Korrelationen aller Parameter ließ in keinem der eingesetzten Prüfverfahren signifikante Unterschiede zwischen den exponierten Gruppen und den Kontrollen erkennen. Auch die Wiederholungsuntersuchungen der F0-Ratten im Alter von 10 Monaten ergaben keine Hinweise auf EMF-induzierte Störungen der operanten Verhaltensleistung, obwohl diese Tiere älter und der EMF-Einwirkung länger ausgesetzt waren. Hinweise auf eine Beeinträchtigung der „Lernfähigkeit“ oder der „Gedächtnisleistung“ durch die chronische Exposition durch GSM- oder UMTS-EMF des Mobilfunks (SAR 0.4 W/kg) lassen sich aus den Ergebnissen nicht ableiten.

Auswirkungen auf die Barrierefunktion der Blut-Hirn-Schranke (BHS) wurden mit Hilfe von zwei radioaktiven Markern (14C-Saccharose und 3H-Inulin) untersucht. Dabei wird der Übertritt der 14C-Saccharose aus den Blutgefäßen über die Blut-Hirn-Schranke ins Hirngewebe quantitativ bestimmt. Die unidirektionale Influxkonstante (Kin) beschreibt die Durchlässigkeit der BHS für das Markermolekül. Um die Empfindlichkeit des Tests zu optimieren, wurde die BHS durch Infusion einer hyperosmolaren Zuckerlösung einseitig latent geschwächt. Diese leichte Schwächung der BHS diente dazu, die Nachweisempfindlichkeit für HF-induzierte Schäden zu erhöhen. Die nicht geschwächte linke Hirnhälfte konnte als zusätzliche methodische Kontrolle genutzt werden. Unter diesen Bedingungen wurden die Generation F0b (n = 68, nach 4 Monaten Bestrahlung), die Generation F0a (n = 68, nach 9 Monaten Bestrahlung) und die Generation F2 (n = 77, nach 4 Monaten Bestrahlung) untersucht. Es ergaben sich keine Unterschiede zwischen der scheinexponierten Kontrollgruppe und den nach GSM- bzw. UMTS-Standard exponierten Tieren. Hinweise auf eine Schwächung der Blut-Hirn-Schranke durch die chronische, auch während möglicherweise empfindlicher Entwicklungsstadien durchgeführten HF-Exposition ergaben sich nicht. Zusätzlich wurde die Zahl der CA1-Neuronen im Hippokampus untersucht. Unterschiede zwischen den exponierten Gruppen und der Kontrolle hinsichtlich der Zahl der CA1-Neurone ergaben sich ebenfalls nicht.

Die Untersuchungen zum potentiellen Einfluss einer chronischen Exposition mit elektromagnetischen Feldern (GSM, UMTS) auf das Immunsystem und die Stressreaktion von Ratten wurden an weiblichen Tieren der Generationen F0 und F2 durchgeführt, wobei eine Untergruppe (F0a) - postnatal weitere 55 Wochen exponiert wurde, während Untergruppe F0b - ebenso wie die aus Generation F2 untersuchten Tiere - postnatal weitere 24 Wochen exponiert bzw. scheinexponiert wurde. Die Tiere der F0a- Generation wurden im Alter von 46 Wochen erstmals untersucht, die Tiere der F0b- und F2-Generation jeweils im Alter von 13 und 14 Wochen. Zur Untersuchung der Immunreaktion wurden die Tiere mit den Antigenen Ovalbumin (OVA) und Hühner IgY sowie einem Lipopeptid-Adjuvans immunisiert. Blutentnahmen erfolgten am Tag 0, sowie zur Untersuchung des Impferfolgs und des Anstiegs der spezifischen Antikörper (Anti-OVA, Anti-IgY, Gesamt IgG) jeweils an Tag 14 und Tag 35. Zeitlicher Verlauf und Höhe des Antikörper-Titers geben Auskunft über mögliche Einflüsse der HF-Exposition auf die Reaktionsfähigkeit des Immunsystems. Ein Einfluss der Exposition auf die Konzentration des Gesamt-Immunglobulins war weder in Gruppe F0a noch in Gruppe F0b vorhanden. Lediglich in F2 waren die Werte der GSM-exponierten Gruppe signifikant erhöht, was allerdings auf einem höheren Ausgangswert dieser Gruppe beruht. Der Unterschied zwischen dem Ausgangsniveau vor der Immunisierung und dem Wert nach der Immunisierung entspricht wiederum der Kontrolle. Bei den spezifischen Antikörpern Anti-OVA und Anti-IgY treten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Expositionsgruppen auf. In F0b, der Gruppe, deren Tiere gleich alt und gleich lange exponiert sind wie F2, tritt keine Erhöhung des Gesamt-IgG auf. Hinweise auf eine durch die chronische HF-Exposition geschwächte Immunreaktion ergeben sich aus den Ergebnissen nicht.

Die Frage, ob die HF-Exposition das Stressgeschehen beeinflusst, wird durch Messung des Cortisolspiegels im Blut nach ACTH-Injektion untersucht. Mit dem ACTH-Stimulationstest kann festgestellt werden, ob die Reaktion auf den akuten Stressor ACTH normal oder beeinträchtigt ist. Nach Entnahme der 1. Blutprobe (t = 0 min) erhielt jede Ratte eine intraperitoneale ACTH-Injektion. Weitere sechs Blutproben wurden zu t = 15 min, t = 30 min, t = 45 min, t = 60 min, t = 90 min und t = 120 min entnommen. Die Serumproben wurden mittels kommerziellem ELISA (Enzymgekoppelter Immun-Fluoreszenz-Test) analysiert. Ermittelt wird die Differenz zwischen Basalwert und Maximalwert der Kortikosteron-Konzentration sowie der zeitliche Verlauf der Reaktion. Lediglich in der Gruppe F0b war die Kortikosteron-Basalkonzentration in den exponierten Gruppen gegenüber der Kontrolle erniedrigt, während die maximale Kortikosteronkonzentration wieder der Kontrolle entsprach. Hieraus ergibt sich eine erhöhte Differenz zwischen Basal- und Maximalkonzentration, die auf dem niedrigeren Basalwert beruht und nicht überbewertet werden darf, zumal sich auch dieser Effekt in der gleich alten und gleich lange exponierten Gruppe F2 nicht bestätigt.

Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die chronische HF-Exposition (GSM oder UMTS) mit 0.4 W/kg im hier untersuchten tierexperimentellen System keine Dauerstress-ähnliche Belastung darstellt.

Die detaillierten Ergebnisse des Projekts können den beiden Zwischenberichten und dem Abschlussbericht entnommen werden:

Zwischenbericht I (591 KB)
Zwischenbericht II (1.631 KB)
Abschlussbericht (5.817 KB)

Publikationen

  • Tejero et al., (2005) Concept for the controlled plane wave exposure for animal experiments using a parabolic reflector, Advances in radio science 2005, 3, 233-238
  • Schelkshorn S., Tejero S., and Detlefsen J. (2007) Exposure setup for animal experiments using a parabolic reflector, Radiation Protection Dosimetry 124 (1), 27-30

Fazit

Die Studie verbessert die Datenlage für die Bewertung der Effekte einer chronischen Ganzkörperexposition mit GSM- oder UMTS-Signalen. Erstmals wurden in einer Mehr-Generationen-Studie sämtliche Entwicklungsphasen ab der Zeugung umfasst und eine Reihe wichtiger Endpunkte (Blut-Hirn-Schranke, Kognition, Stress- und Immunsystem, Fortpflanzung und Entwicklung) untersucht. Hinweise auf gesundheitlich relevante negative Effekte der HF-Exposition ergeben sich insgesamt aus den Ergebnissen nicht.