Untersuchung des Phänomens "Elektrosensibilität" mittels einer epidemiologischen Studie an "elektrosensiblen" Patienten einschließlich der Erfassung klinischer Parameter

Thema

Untersuchung des Phänomens "Elektrosensibilität" mittels einer epidemiologischen Studie an "elektrosensiblen" Patienten einschließlich der Erfassung klinischer Parameter

Beginn

01.08.2004

Ende

31.07.2006

Projektleitung

Bezirksklinikum Regensburg

Zielsetzung

Ziel des Vorhabens war die Untersuchung des Phänomens "Elektrosensibilität" an Patienten, die sich als elektrosensibel gegenüber elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks betrachten. Die Studie sollte klären, ob der selbstdiagnostizierten Elektrosensibilität eine besondere Empfindsamkeit oder Wahrnehmung elektromagnetischer Felder zugrunde liegt und wie die Gruppe der "Elektrosensiblen" hinsichtlich psychischer und labor-klinischer Parameter charakterisiert ist.

Dabei sollte eine Gruppe von Personen, die sich als elektrosensibel gegenüber elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks betrachten, mit einer entsprechenden Kontrollgruppe verglichen werden.

Die Untersuchung sollte u. a. folgende Punkte umfassen:

  • Gesundheitliche Beschwerden / Symptome, Lebensqualität und Lebenszufriedenheit sowie begleitende Faktoren
  • Klinische Tests zur objektiven Erfassung des Gesundheitszustands der Probanden
  • Physikalisch-medizinische Tests unter verschiedenen Expositionsbedingungen

Ergebnisse

Es konnten 89 subjektiv elektrosensible Personen und 107 Kontrollen für die Untersuchungen gewonnen werden. Bei den elektrosensiblen Personen, die in die Studie eingeschlossen wurden, durfte keine schwerwiegende Erkrankung bestehen, sie mussten eine hohe Beschwerden-Belastung aufweisen und sie mussten ihre Beschwerden auf konkrete Quellen elektromagnetischer Felder zurückführen. Die Kontrollen wurden nach Alter, Geschlecht, EMF-Exposition am Wohnort oder EMF-Exposition am Arbeitsplatz an die elektrosensiblen Personen angepasst. Das Untersuchungsprogramm enthielt einige Fragebögen zur Art und Intensität der Beschwerden, zu Begleiterkrankungen und zur Schlafqualität. Außerdem wurden der sog. „allostatic load“ (klinisch-medizinische Parameter, die stressrelevant sind und Aussagen über die weitere gesundheitliche Entwicklung einer Person zulassen) und das Vorhandensein bestimmter genetischer Faktoren geprüft. Mit Hilfe der transkranialen Magnetstimulation (TMS) wurden die subjektive und objektive Wahrnehmungsschwelle und die Wahrnehmungsfähigkeit von Magnetimpulsen sowie die so genannte „Exzitabilität“ (Erregbarkeit von Zellen im Gehirn) festgestellt.

In einem verblindeten Wahrnehmungsexperiment wurden den Versuchspersonen am Kopf Serien von Magnetimpulsen mit ansteigender Stärke appliziert. Die Probanden sollten nach jedem Impuls angeben, ob sie ihn wahrgenommen hatten oder nicht. Anschließend wurden die objektive Ruheschwelle und die aktive motorische Schwelle gemessen.

Bezüglich der objektiven motorischen Schwellen bei der TMS unterschieden sich die Elektrosensiblen im Mittel nicht von den Kontrollpersonen, wobei bei beiden Gruppen eine große Bandbreite der Wahrnehmungsschwellen auftrat. Sollten elektrosensible Personen tatsächlich empfindlicher sein gegenüber elektromagnetischen Feldern, wäre zu erwarten, dass sie eine niedrigere objektive Wahrnehmungsschwelle aufweisen. Dies war in dieser Studie nicht der Fall. Auch etliche andere Untersuchungen erbrachten ein ähnliches Ergebnis.

Hinsichtlich der Fähigkeit, einen tatsächlichen Magnetimpuls von einem Scheinimpuls zu unterscheiden, ergaben sich dagegen deutliche Unterschiede zwischen den Elektrosensiblen und den Kontrollpersonen. Es zeigte sich, dass die elektrosensiblen Personen schlechter als die Kontrollpersonen zwischen tatsächlichen und Scheinimpulsen unterscheiden können, da sie oft auch bei Scheinimpulsen einen Impuls wahrzunehmen glaubten. Die entsprechenden Ergebnisse aus einer früheren Machbarkeitsstudie mit weniger Probanden konnten somit im Wesentlichen bestätigt werden. Aufgrund der breiteren Altersverteilung der Probanden in dieser Studie konnte eine Altersabhängigkeit der Diskriminierungsfähigkeit festgestellt werden, d. h. die Kontrollen konnten mit zunehmendem Alter schlechter zwischen echtem und Scheinimpuls unterscheiden, bei den Elektrosensiblen war diese altersabhängige Verschlechterung nicht feststellbar.

Zur Bestimmung der kortikalen Exzitabilität erfolgte eine Doppelpulsuntersuchung. Bei kurzen zeitlichen Intervallen (2 ms) zwischen den beiden Magnetpulsen ergibt sich eine Inhibition (Hemmung) des nachfolgenden motorischen Potenzials, bei langen Intervallen (15 ms) dagegen eine Fazilitation (Verstärkung). Die elektrosensiblen Personen wiesen eine gegenüber den Kontrollpersonen veränderte Fazilitation auf. Die entsprechenden Ergebnisse der vorausgegangenen Machbarkeitsstudie konnten somit teilweise bestätigt werden. Wegen der Einbeziehung älterer Personen in diese Studie zeigte sich aber erstmals eine Altersabhängigkeit dieses Effektes.

Mit Hilfe verschiedener Parameter des "allostatic load" können Rückschlüsse auf eine mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustands bei chronisch stressbelasteten Personen vorgenommen werden. Die Messung dieser Parameter ergab keine Unterschiede zwischen Elektrosensiblen und Kontrollpersonen.

Im Hinblick auf mögliche genetische Unterschiede zwischen Elektrosensiblen und Kontrollen wurden Gene für neuronale Rezeptoren (Serotonin-Transporter-Promoter-Gen, Dopamin-D4 Rezeptor-Gen) untersucht, es zeigten sich aber keine Unterschiede hinsichtlich der genetischen Ausstattung bei diesen beiden Merkmalen zwischen Elektrosensiblen und Kontrollpersonen.

Bei der Auswertung der mit Hilfe von Fragebögen gewonnenen Daten hinsichtlich der Ausprägung dysfunktionaler Kognitionen (fehlerhafte Bewertungen, Einstellungen) konnten deutliche Unterschiede zwischen den Elektrosensiblen und den Kontrollen festgestellt werden. Anhand der Beantwortung von 6 spezifischen Fragen aus den Fragebögen und der benötigten Zeit für die Bearbeitung des Beschwerdefragebogens ließen sich die Probanden mit hoher Trefferquote den Elektrosensiblen oder den Kontrollpersonen zuordnen.

Bei 15 Elektrosensiblen und 15 Kontrollpersonen wurde mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie (fMRI) die kortikale Aktivität bei Exposition bzw. Ankündigung mit einem Wärmereiz bzw. einem "Handysignal" untersucht. Bei Exposition mit Wärmereizen zeigten die Elektrosensiblen das gleiche Aktivierungsmuster wie die Kontrollpersonen. Bei Exposition mit einem scheinbaren "Handysignal" wurde bei den Kontrollpersonen keine Aktivierung spezieller Hirnareale beobachtet, bei den elektrosensiblen Personen waren dagegen Hirnareale aktiviert, die an antizipatorischen (antizipatorisch: etwas bewusst vorweg nehmen) Prozessen beteiligt sind. Außerdem berichtete ein Teil der Elektrosensiblen über Beschwerden während der scheinbaren Handyexposition bzw. glaubte die Strahlung gespürt zu haben.

Der Abschlussbericht des Vorhabens steht zum Download als PDF-Datei (1.467 KB) zur Verfügung.

Publikationen

  • Frick et al, Comparison perception of singular transcranial magnetic stimuli by subjectively electrosensitive subjects and general population controls, Bioelectromagnetics . (2005) 26:287-298
  • Frick, U., Mayer, M., Hauser, S., Binder, H., Rosner, R., & Eichhammer, P., Entwicklung eines deutschsprachigen Messinstrumentes für "Elektrosmog-Beschwerden", Umweltmedizin in Forschung und Praxis (2006) 11, 103-113
  • Landgrebe, M., et al., Altered cortical excitability in subjectively electrosensitive patients: Results of a pilot study. J Psychosom Res (2007) 62: 283-288
  • Landgrebe M., et. al., Transkranielle Magnetstimulation zur biologischen Charakterisierung somatoformer Störungen am Beispiel der subjektiven Elektrosensibilität. Nervenheilkunde (2006) 25, 653-656

Fazit

Ziel des Vorhabens war es einerseits, einen möglichen Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen EMF und den Beschwerden der subjektiv Elektrosensiblen aufzuklären und andererseits nach Faktoren zu suchen, die zur Entstehung bzw. Aufrechterhaltung der Elektrosensibilität beitragen könnten.

Wie bereits in der vorausgegangenen Machbarkeitsstudie zeigte sich auch in diesem Vorhaben, dass die elektrosensiblen Probanden nicht etwa besser sondern schlechter als Kontrollpersonen zwischen echten und Scheinimpulsen unterscheiden können, da sie in vielen Fällen auch bei Scheinimpulsen angaben, etwas zu "spüren". Genauso reagierten einige Elektrosensible mit Beschwerden auf das vorgebliche "Handysignal", dem sie während der fMRI ausgesetzt wurden oder gaben zumindest an, das Feld "spüren" zu können.

In diesem Vorhaben wie in vielen anderen Untersuchungen ließ sich bisher kein Zusammenhang zwischen EMF und den Beschwerden der Betroffenen nachweisen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen EMF und den Beschwerden kann daher mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Diese Einschätzung wird auch von der WHO geteilt, die in ihrem Fact sheet Nr. 296 vom Dezember 2005 feststellt, dass es keine wissenschaftliche Basis gibt, um die Symptome der Elektrosensiblen mit der Einwirkung von elektromagnetischen Feldern in Verbindung zu bringen.

Da die Elektrosensibilität aber ein ernsthaftes gesundheitliches Problem darstellt und die Betroffenen unter einem hohen Leidensdruck stehen, ist die Suche nach anderen auslösenden oder zur Aufrechterhaltung führenden Faktoren für das Krankheitsbild sinnvoll und notwendig. Erste Hinweise auf beteiligte Faktoren wurden im Rahmen dieses Vorhabens gefunden.

Weitere Faktoren, die für das Krankheitsbild "Elektrosensibilität" bedeutsam sind, werden im Rahmen eines weiteren DMF-Forschungsvorhabens erhoben. Eine zusammenfassende Diskussion aller Ergebnisse erfolgt im Abschlussbericht zum DMF.

Eine Weiterführung der Forschung im Zusammenhang mit dem Phänomen "Elektrosensibilität" ist durchaus sinnvoll. Sie sollte sich aber auf die prädisponierenden Faktoren und auf mögliche Therapien konzentrieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine verbesserte Definition des Krankheitsbildes, die zu einer objektiveren Auswahl der Probanden und damit hoffentlich zu einer homogeneren Probandengruppe führen sollte. Diese Fragestellungen sind aber nicht unbedingt unter Strahlenschutzgesichtspunkten zu sehen.